BVerfG: Hinweis auf Legasthenie im Abiturzeugnis grundsätzlich geboten

BVerfG: Hinweis auf Legasthenie im Abiturzeugnis grundsätzlich geboten

BVerfG, Urteil vom 22.11.2023, 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2579/15, 1 BvR 2578/15

 

Drei bayerische Abiturienten aus dem Jahr 2010 bekamen nun Recht. Der Vermerk in deren Zeugnissen, dass aufgrund von fachärztlich festgestellter Legasthenie ihre Rechtschreibung nicht bewertet wurde, verletzte sie konkret in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Bei Legasthenie handelt es sich um eine Lese- und Rechtschreibstörung, die eine Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG darstellt. Art. 3 Abs. 3 GG normiert, dass Menschen mit Behinderung nicht benachteiligt werden dürfen. Sie hielten den konkreten Vermerk allerdings für diskriminierend: So argumentierten sie, dass der Hinweis auf deren Legasthenie zu einer Benachteiligung im Bewerbungsprozess für einen Job, einen Studien- oder Ausbildungsplatz zur Folge haben kann.

Das BVerfG gab den Abiturienten zwar konkret Recht, jedoch folgte es deren Argumentation nicht. Grundsätzlich stellte das BVerfG fest, dass ein solcher Vermerk zulässig und in manchen Fällen -etwa beim Abitur- sogar zwingend erforderlich sein muss.

Um zu gewährleisten, dass alle Abiturienten einen chancengleichen Zugang zu Beruf und Ausbildung haben, ist Transparenz erforderlich, wenn von allgemeinen Prüfungsmaßstäben abgewichen wurde.

Dennoch hatten die Klagen der drei Abiturienten Erfolg. Grund dafür ist, dass zum damaligen Zeitpunkt Legasthenie im Zeugnis vermerkt wurde, nicht jedoch andere Behinderungen. Darin ist ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu sehen.

Es lässt sich zusammenfassen, dass Vermerke über Prüfungserleichterungen vorgenommen werden dürfen -und teilweise sogar müssen-, diese Vermerke dürfen sich aber nicht auf einzelne Einschränkungen wie Legasthenie beschränken. Weil in Deutschland bis zu 12% der Bevölkerung von einer Lese- und/oder Rechtschreibschwäche betroffen sind, hat dieses Urteil einen besonders hohen Stellenwert.

Stefan Schröter

Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Fachanwalt für Medizinrecht
Lehrbeauftragter der Hochschule Ansbach
Privatdozent (Bankrecht)

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Rechtsanwalt Stefan Schröter