Arbeitsrecht: Anspruch auf tarifvertragliche Corona-Sonderzahlung in der Freistellungsphase der Altersteilzeit (BAG, Urteil vom 23.02.2023, 9 AZR 106/22)
Die Klägerin war seit 1979 als Auszubildende und seit 1982 als kaufmännische Angestellte bei der Beklagten tätig und ist Mitglied bei der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft (ver.di). Die Beklagte ist Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbands Nordrhein Westphalen (KAV NW). Die beiden Parteien vereinbarten am 28.11.2015 mittels eines Altersteilzeitvertrags, dass die Klägerin ab dem 01.05.2016 in Altersteilzeit tritt. Es wurde ein Blockmodell mit einer Arbeitsphase vom 01.06.2016 bis zum 31.05.2019 und einer Freizeitphase vom 01.06.2019 bis zum 31.05.2022 festgelegt. Das Arbeitsentgelt sollte unabhängig von dieser Aufteilung fortlaufend gem. § 7 Abs. 2 des Tarifvertrags zu flexiblen Arbeitszeitregelungen für ältere Beschäftigte (TV FlexAZ) gezahlt werden.
Am 07.11.2020 schlossen der KAV NW und die ver.di den TV Corona-Sonderzahlung Nahverkehr NW 2002. Tarifvertraglich Beschäftigte sollen gemäß § 2 Abs. 1 des TV Corona-Sonderzahlung Nahverkehr NW 2020 eine einmalige Corona-Sonderzahlung erhalten, sofern ihr Arbeitsverhältnis am 01.10.2020 und an mindestens einem Tag zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.10.2020 Anspruch auf Entgelt bestand. § 2 Abs. 2 des Corona-Sonderzahlung Nahverkehr NW 2020 legt fest, dass die volle Anspruchshöhe 600€ beträgt. Arbeitnehmer, die nicht in Vollzeit beschäftigt sind, sollen die Zahlung in der Höhe erhalten, die ihrem Verhältnis am 01.10.2020 bestehenden individuell vereinbarten Arbeitszeit im Verhältnis zu der regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollzeitbeschäftigten entspricht.
Die Klägerin forderte daraufhin beim ArbG Dortmund, die Beklagte zu einer vollständigen Corona Zahlung in Höhe von 600,00 € zu verpflichten. Die Beklagte war der Auffassung, dass der Klägerin die Sonderzahlung nicht zustünde, da § 7 Abs. 2 TV FlexAZ die Entstehung neuer Entgeltansprüche ausschließe, wenn sich der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase befindet. Es sei lediglich ein Anspruch auf die Auszahlung des in der Arbeitsphase erarbeiteten Wertguthabens geregelt worden.
Mit Urt. V. 17.06.2021 gab das ArbG Dortmund der Klage in einem Umfang von 300€ statt und wies die Klage im Übrigen ab.
Das Landesarbeitsgericht hat dieses Urteil teilweise abgeändert und im vollen Umfang abgewiesen, mit der Begründung, dass während der Freistellungsphase keine neuen tarifvertraglichen Entgeltansprüche entstehen können und der Klägerin damit keine Corona-Sonderzahlung zustünde.
Das BAG hält die darauffolgende Revision der Klägerin teilweise für begründet. Sie habe einen Anspruch auf eine Corona-Sonderzahlung in Höhe von 300,00 € aus § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung Nahverkehr NW nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2023.
Es ergibt sich nicht aus der Tarifnorm, dass auch eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht werden musste. Es kommt auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses am 31.10.2020 und auf einen bestehenden Entgeltanspruch an einem Tag zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.10.2020 an.
In § 7 Abs. 2 TV FlexAZ werden lediglich die Auszahlungsmodalitäten geregelt. Die Möglichkeit, auch in der Freistellungsphase der Alterszeit Leistungen, die unabhängig von einer erbrachten Arbeitsleistung gewährt werden, vorzusehen, bleibt bestehen. Somit können auch Arbeitnehmer, die sich am 01.10.2020 in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befanden, die tarifvertragliche Corona-Sonderzahlung beanspruchen.
Aus § 2 Abs. 2 Satz 3 TV Corona-Sonderzahlung Nahverkehr NW 2020 folgt jedoch, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die 600,00 € Sonderzahlung hat, sondern lediglich einen geringeren Anspruch nach dem Verhältnis ihrer individuell vereinbarten durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten am 01.10.2020.
Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts verdeutlicht erneut, dass auch Arbeitnehmern in Altersteilzeit die Corona-Sonderzahlungen aufgrund der finanziellen Belastungen durch die Corona-Pandemie zugutekommen sollen, sie allerdings keinen Anspruch auf die voll vereinbarte Höhe haben, da sie keine Arbeitnehmer in Vollzeit sind. So kam dies auch in weiteren Parallelentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zum Ausdruck (zum Beispiel AZR 107/22, 9 AZR 133/22, 9 AZR 217/22, 9 AZR 330/22).
Stefan Schröter
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Fachanwalt für Medizinrecht
Lehrbeauftragter der Hochschule Ansbach
Privatdozent (Bankrecht)