Arbeitsrecht: Müssen Weisungen vom Arbeitgeber auch in der Freizeit zur Kenntnis genommen werden?
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 23.08.2023, 5 AZR 349/22
Arbeitnehmer sind nach § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dazu verpflichtet, im Dienst des Arbeitgebers weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu verrichten. Das BAG beschäftigte sich nun mit der Frage, ob Weisungen des Arbeitgebers über SMS vom Arbeitnehmer zur Kenntnis genommen werden müssen und ob es sich dabei um Arbeitszeit handelt.
Zum Fall
Der Kläger war als Notfallsanitäter bei der Beklagten, die an mehreren Standorten den Rettungsdienst durchführte, beschäftigt. Durch mehrere Betriebsvereinbarungen wurden die einzelnen Arbeitstage der Mitarbeiter festgelegt, aber der Arbeitgeberin die Befugnis eingeräumt, bis spätestens vier Tage vor einem Arbeitstag anstelle eines normalen Dienstes den „Springerdienst“ auf einer anderen als sonst üblichen Rettungswache anzuordnen. Wenn zu diesem Zeitpunkt die genaue Schicht (Früh-, Spät- oder Nachtschicht) noch nicht festgelegt werden kann, wird zunächst der „unkonkrete“ Springerdienst angeordnet. Bis 20:00 Uhr vor dem jeweiligen Arbeitstag muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer dann die Schicht und die konkrete Rettungswache mitteilen. Wenn diese Mitteilung nicht erfolgt, muss der Arbeitnehmer um 7:30 Uhr des Tages telefonisch seine Arbeitsbereitschaft anzeigen.
Für den Arbeitnehmer war seit 04.04.2021 ein unkonkreter Springdienst für den 08.04.2021 eingetragen. Am 07.04.2021, an welchem Tag er einen arbeitsfreien Tag hatte, versuchte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer telefonisch zu erreichen, um ihm die konkrete Schicht (Schichtbeginn um 6:00 Uhr) mitteilen zu können. Da sie ihn telefonisch nicht erreichen konnte, teilte sie ihm die nötigen Informationen mittags in einer SMS mit. Diese nahm der Mitarbeiter nicht zur Kenntnis und meldete sich daher am darauffolgenden Tag telefonisch um 7:30 Uhr bei der Arbeitgeberin. In der Zwischenzeit wurde ein anderer Mitarbeiter aus der Rufbereitschaft für den Dienst eingesetzt, weshalb der Kläger nicht mehr arbeiten musste und ihm elf Stunden vom Arbeitszeitkonto abgezogen und eine Ermahnung erteilt wurden.
Am 15.09.2021 kam es zu einer ähnlichen Situation, wobei der Arbeitnehmer knapp zwei Stunden nach eigentlichem Schichtbeginn noch eingesetzt wurde. Ihm wurden 1,93 Stunden vom Arbeitszeitkonto abgezogen und eine schriftliche Abmahnung erteilt.
Daraufhin klagte der Arbeitnehmer auf Entfernung dieser Abmahnung und auf Gutschreibung der abgezogenen Zeiten als Arbeitszeit.
Das zuständige Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht Schleswig- Holstein gab ihr statt.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG hob das Urteil des LAG auf und gab damit dem Arbeitsgericht Recht. Es bejahte die Wirksamkeit der Anordnungen, sodass dem Kläger keine Aufhebung der Abmahnung und Zeitgutschrift zustand.
Dass die Arbeitgeberin durch Weisungen den Springerdienst anordnen durfte, folgte aus dem Arbeitsvertrag und wurde vom BAG auch nicht bezweifelt.
Das BAG vertrat die Auffassung, dass die Weisung am arbeitsfreien Tag nach § 130 BGB zuging, da er noch am selben Tag zur Kenntnisnahme verpflichtet gewesen wäre. Es handelte sich dabei um eine Nebenleistungspflicht, der der Kläger auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit nachkommen musste. Diese Verpflichtung entstand nach Ansicht des BAG korrespondierend zur Konkretisierungsbefugnis des Arbeitgebers. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Kläger während des gesamten arbeitsfreien Tages erreichbar sein musste, sondern eine Kenntnisnahme ab dem letztmöglichen Zeitpunkt, zu dem der Arbeitsgeber die Weisung vornehmen darf, wäre ausreichend. Dies war im konkreten Fall 20:00 Uhr des Vortags.
Die Kenntnisnahme stellte keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne dar. Die nötige Schwelle der Erheblichkeit wurde durch die SMS und durch die erforderte Spontanität bezüglich des nächsten Arbeitstags nicht überschritten. Die Kenntnisnahme der SMS hätte nur sehr kurz Zeit in Anspruch genommen und stellte damit keine Einschränkung oder Belastung dar.
Die Arbeitgeberin konkretisierte zusammenfassend die Dienste wirksam und erteilte wirksame Weisungen. Dem Kläger hätte es oblegen, die Weisungen zur Kenntnis zu nehmen und die geschuldete Arbeitsleistung anzubieten. In beiden Fällen tat er dies nicht, weshalb seine Klage erfolglos blieb. Durch die unterbliebene Arbeitsleistung verletzte er seine Arbeitspflicht, weshalb die Abmahnung rechtmäßig erfolgte.
Fazit
Dem Urteil des BAG ist zuzustimmen. Durch die SMS wurde er in seiner Freizeit kaum eingeschränkt, weshalb es sich nicht um Arbeitszeit, sondern lediglich um eine Nebenpflicht handelte. Insgesamt müssen Arbeitnehmer nicht durchgehend an arbeitsfreien Tagen erreichbar sein, sondern lediglich zum spätesten Zeitpunkt der Mitteilung überprüfen, ob eine solche Anordnung erfolgte und dieser später Folge leisten.
Stefan Schröter
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Fachanwalt für Medizinrecht
Lehrbeauftragter der Hochschule Ansbach
Privatdozent (Bankrecht)