Haben Darlehensnehmer Anspruch auf Zinszahlung gegen den Darlehensgeber?

Umgekehrte Welt – Kuriose BGH-Entscheidung oder dogmatisch richtig?

Haben Darlehensnehmer Anspruch auf Zinszahlung gegen den Darlehensgeber?

BGH, Urteil vom 09.05.2023, XI ZR 544/21

 

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich kürzlich mit der Frage beschäftigt, ob bei Darlehensverträgen, die vor der Finanzkrise geschlossen wurden, der Darlehensnehmer vom Darlehensgeber die Zinszahlung verlangen kann (BGH, Urteil vom 09.05.2023, XI ZR 544/21; BGH, Urteil vom 20.06.2023, XI ZR 116/22).

Wie kann es dazu kommen?

Relevant sind in diesem Kontext Darlehensverträge, deren Verzinsung sich am EURIBOR-Zinssatz orientiert.

Das heißt, dass sich der Zinssatz aus den ermittelten marktüblichen Durchschnittszinssätzen ergibt. In Zeiten negativer Zentralbankzinsen kann sich aus der vereinbarten Berechnungsformel im Vertrag ein negativer Zinssatz ergeben. Darlehensnehmer versuchen dann, von ihren Darlehensgebern die Zahlung von Zinsen zu fordern.

Zu den konkreten Sachverhalten

Die Parteien der konkreten Urteile vereinbarten einen Zinssatz von 0,1175% über dem Drei-Monats- bzw. von 0,04% über dem Sechs-Monats-EURIBOR-Zinssatz. Eine Zinsuntergrenze wurde nicht vereinbart. Die Darlehensnehmer wollten nun einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen gegen die Banken geltend machen. Fraglich war, ob auch ein Anspruch des Darlehensnehmers gegen die Bank auf Zinszahlung besteht.

Der BGH hat dies verneint.

Dogmatisch hat er dies wie folgt begründet:

Nach dem Vertrag hat sich nur der Darlehensnehmer zur Zinszahlung verpflichtet. Dies ergibt sich auch aus § 488 BGB.

Fraglich war, ob die fehlende Vereinbarung einer Zinsuntergrenze zu einem Anspruch führen kann.

Da die Parteien nicht mit dem Eintritt von Negativzinsen rechneten und damit nicht daran dachten, dass der Darlehensgeber zur Zinszahlung verpflichtet werden könnte, war eine Zinsuntergrenze nicht Gegenstand der Vereinbarung.

Daraus, dass keine solche Zinsuntergrenze im Vertrag vereinbart war, kann daher nicht geschlossen werden, dass die Parteien auch vereinbaren wollten, dass die Bank an den Darlehensnehmer Zinsen zahlen muss, wenn der Marktzins negativ ist.

Die Darlehensnehmer konnten nicht absehen, dass sie zusätzlich zum Darlehen einen Anspruch auf Zinsen haben, so der Bundesgerichtshof.

Die rein rechnerische Möglichkeit, dass der Zins sich ins Gegenteil verkehrt, führt nicht dazu, dass der Darlehensnehmer Anspruch auf Zinszahlungen gegen die Bank hat.

Bei Zinsen im Sinne des § 488 I 2 BGB handelt es sich laut BGH um Entgelt, das für die mögliche Nutzung von durch den Darlehensgeber überlassenem Kapital zeitabhängig zu leisten ist. Als Entgelt können Zinsen nicht negativ werden, auch wenn der EURIBOR-Zinssatz ins Negative abfällt. Grund dafür ist, dass dieser lediglich eine fiktive Rechengröße darstellt. Eine Umkehrung der Zinszahlungspflicht auf den Darlehensgeber wegen eines negativen Zinssatzes ist daher, auch im Hinblick auf den Sinn und Zweck eines Darlehensvertrags, in den vorliegenden Fällen nicht möglich: Die Vergütung der Hauptleistungspflicht des Darlehensgebers- das Bereitstellen von Kapital an den Darlehensnehmer- und der damit einhergehende Erhalt von Entgelt des Darlehensnehmers dafür, dass ihm Kapital zur Verfügung gestellt wurde, wäre zweckwidrig.

Wie ist die Entscheidung des BGH zu bewerten?

Dem BGH ist zuzustimmen: Vor der Finanzkrise im Jahr 2008 rechnete niemand mit dem Eintreten von „Negativzinsen“. Somit kann rückblickend nicht festgestellt werden, welche Vereinbarung von den Parteien getroffen worden wäre, wenn sie von Negativzinsen gewusst hätten. Es besteht damit kein Anspruch des Darlehensnehmers gegen die Bank auf Zahlung von Zinsen.

Wie ist es bei Verträgen, die nach der Finanzkrise, also nach 2009, geschlossen wurden?

In diesen Fällen könnte sich etwas anderes ergeben: Dass es zu Negativzinsen kommen kann, ist seitdem bekannt. Die Parteien konnten seither diesen Fall bei den Vertragsverhandlungen bedenken. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs muss im Einzelfall geprüft werden, wovon die Parteien bei Vertragsabschluss ausgingen, wenn nicht ausdrücklich dies im Vertrag geregelt ist.

Was bedeutet das?

Darlehensnehmer, die vor der Finanzkrise und in der Zeit vor erstmals aufkommenden „Negativzinsen“ Darlehensverträge mit Banken abgeschlossen haben, haben definitiv keinen Anspruch auf Zinsen von den Darlehensgebern.

Für Verträge, die nach der Finanzkrise geschlossen wurden und keine Regelung dazu beinhalten, kann ein Anspruch nicht grundsätzlich abgelehnt werden.

Beim Abschluss von Darlehensverträgen ist insbesondere den Banken, aber auch den Darlehensnehmern anzuraten, auf eine konkrete Vereinbarung zu dieser Thematik zu achten. Gerne prüfen wir dies für Sie.

Dr. Bettina Schacht

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Erbrecht
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zert. Testamentsvollstreckerin
Mediatorin

Ihre Anwältin für dieses Fachgebiet
Rechtsanwältin Dr. Bettina Schacht