Schwierigkeiten bei der Auslegung eines Ehegattentestaments
Vor dem OLG Düsseldorf ging es um die Frage, ob die Formulierung „die Kinder“ alle Kinder als Erben benennt. Problematisch war die Auslegung des Testaments vor allem, da es sich bei der Familie um eine Patchworkfamilie handelte und alle Kinder aus vorherigen Beziehungen stammten.
Wen meinen die Ehegatten mit „die Kinder“?
Ein Ehepaar hatte 2009 ein handschriftliches Berliner Testament verfasst, in dem sich die Eheleute gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Schlusserben sollten „die Kinder ungefähr zu gleichen Teilen“ sein. Gemeinsame Kinder hatte das Paar nicht. Die Frau hatte einen Sohn und eine Tochter. Der Mann hatte eine Tochter. Als der Ehemann 2013 verstarb, änderte die Ehefrau das Testament und formulierte konkret, dass ihre beiden Kinder als Schlusserben eingesetzt werden sollten. Ihre Tochter beantragte nach dem Tod der Mutter einen Erbschein für die Kinder ihres bereits verstorbenen Bruders und sich selbst. Die Stiefschwester bedachte sie nicht. Die Tochter des Ehemannes akzeptierte dieses Vorgehen nicht und verlangte die Einziehung des Erbscheins. Sie betonte, dass die Formulierung „die Kinder“ auch sie als Tochter des Erblassers umfassen würde. Es sei zudem nicht erkennbar, dass ihr Vater mit der späteren Testamentsänderung einverstanden gewesen wäre. Die Tochter der Erblasserin entgegnete, dass die Klägerin während der Ehe der Eltern keinen Kontakt zu ihrem Vater aufgenommen hätte und ihre Mutter daher nichts von der Tochter ihres Mannes hätte wissen können (OLG Düsseldorf 25.11.2020 – 3 Wx 198/20).
Wann müssen Gerichte Testamente auslegen?
- Eine Auslegung ist erforderlich, wenn der Wille des Erblassers erforscht werden muss, weil das Testament oder einzelne Verfügungen nicht klar formuliert wurden.
- Durch die Testamentsauslegung soll ermittelt werden, was der Erblasser mit seinen Formulierungen wirklich sagen wollte.
- Gemäß § 133 BGB darf sich die Auslegung nicht ausschließlich auf den buchstäblichen Sinn der Formulierungen fokussieren.
- Gemäß §§ 153, 242 BGB muss bei einem Ehegattentestament zudem geprüft werden, ob sich das Auslegungsergebnis auch mit dem Willen des Ehegatten deckt. Entscheidend ist dabei der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung.
Schließt die Formulierung „die Kinder“ alle Kinder aus vorherigen Beziehungen mit ein?
Das OLG Düsseldorf kam zu folgender Entscheidung:
- Die Formulierung „die Kinder“ umfasst im allgemeinen Sprachgebrauch Kinder, welche im gemeinsamen Haushalt leben. Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung lebten die Kinder der Ehefrau im Haushalt des Paares, während die Tochter des Ehemannes keinen Kontakt zu ihrem Vater hatte.
- Das Ehepaar hat im Testament keine Formulierungen wie „alle Kinder“ oder „unsere Kinder“ verwendet. Hätte man alle Abkömmlinge als Schlusserben einsetzen wollen, so wäre diese Wortwahl nahe liegender gewesen.
Die Auslegung durch das Gericht ergab, dass die Ehegatten die Tochter des Ehemannes nicht als Schlusserbin einsetzen wollten. Allerdings könne die Klägerin ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen (OLG Düsseldorf 25.11.2020 – 3 Wx 198/20).
Dr. Bettina Schacht
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Erbrecht
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zert. Testamentsvollstreckerin
Mediatorin