Strafrecht: Wann hat man Anspruch auf Pflichtverteidigung?

Ein Strafprozess kann langwierig, kräftezehrend und kostspielig werden und erhebliche Folgen mit sich ziehen (Gefängnisstrafe). Deshalb hat der Gesetzgeber unter gewissen Voraussetzungen die Anordnung eines Pflichtverteidigers, der vorerst von der Staatskasse bezahlt wird, festgesetzt.

Was setzt die Anordnung einer Pflichtverteidigung voraus?

Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pflichtverteidigung sind in § 140 Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Ein Anspruch besteht, wenn:

  • die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet oder
  • dem Beschuldigten ein Verbrechen (§ 12 StGB) zur Last gelegt wird;
  • das Verfahren zu einem Berufsverbot (§§ 70 ff. StGB) führen kann;
  • ein Beschuldigter sich in Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a StPO befindet;
  • ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
  • der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
  • dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.

Daneben kann gem. § 140 Absatz 2 StPO eine Pflichtverteidigung angeordnet werden

  • wegen der Schwere der Tat;
  • wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge;
  • wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage;
  • wenn die Beteiligung eines Verteidigers (Anwalt) geboten ist.

Eine schwere Tat, die die Beteiligung eines Verteidigers gebietet, liegt meist dann vor, wenn die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten ist. Berücksichtigt wird ebenfalls, ob die Verurteilung zu weiteren Konsequenzen führen könnte, wie etwa einer Bewährungswiderrufung.

Eine Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ist dann gegeben, wenn die Schuldfähigkeit des Beschuldigten in Frage gestellt wird, mehrere Zeugen vernommen werden müssen oder eine umfangreiche Akteneinsicht geboten erscheint. Das letzte Kriterium ist deshalb von Bedeutung, da lediglich ein Anwalt Akteneinsicht beantragen kann.

Zuletzt kann eine Pflichtverteidigung angeordnet werden, wenn der Beschuldigte nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen. Dies liegt etwa bei Analphabetismus oder bei Betreuung vor. Die Unfähigkeit, sich selbst zu verteidigen, muss nicht sicher festgestellt werden. Es genügt ein Zweifel daran für die Anordnung der Pflichtverteidigung.

Kann ich meinen Anwalt selbst aussuchen?

Ja, Sie haben ein Recht darauf, Ihren Anwalt selbst auszusuchen. Treffen Sie keine Wahl über Ihren Verteidiger, so übernimmt das Gericht die Wahl. Die örtlichen Rechtsanwaltskammern haben sog. „Strafverteidigerlisten“ mit allen Strafverteidigern, die die Wahl eines Verteidigers erleichtern sollen.

Wer trägt die Kosten des Pflichtverteidigers?

Die Kosten für die Pflichtverteidigung werden vorerst von der Staatskasse übernommen. Kommt es zu einer Verurteilung werden dem Verurteilten die Verfahrenskosten inkl. Anwaltskosten auferlegt. Die Anwaltskosten eines Pflichtverteidigers sind dabei geringer als die eines Wahlverteidigers. Das Gericht kann die Kosten aber auch dem Staat auferlegen.

Wie sind die Voraussetzungen im Jugendstrafverfahren?

Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Jugendstrafverfahren sind in § 68 Jugendgerichtsgesetz (JGG) geregelt. Das JGG findet bei Jugendlichen (14-17 Jahre) und in gewissen Fällen bei Heranwachsenden (18-20 Jahre) Anwendung. Hierbei besteht ein Anspruch auf Pflichtverteidigung, wenn

  • im Erwachsenenstrafverfahren ein Pflichtverteidiger bestellt werden muss;
  • die Erziehungsberechtigten von der Verhandlung ausgeschlossen wurden;
  • die Verhängung einer Jugendstrafe (ähnlich zur Freiheitsstrafe) zu erwarten ist;
  • die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB zu erwarten ist;
  • die Anordnung der Unterbringung in einer Erziehungsanstalt zu erwarten ist.

Somit sind die Voraussetzungen im Jugendstrafverfahren etwas weiter im Vergleich zum Erwachsenenstrafverfahren. Auch werden die Kosten dem Jugendlichen meist nicht auferlegt. Der Jugendliche wird somit weiter entlastet.

Wolfgang Luippold
Rechtsanwalt

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